Vertraulich wirkt die große Stadt, die Straßen seltsam leer
Die Luft ist kühl und dennoch gar vom Kebabduft so schwer
Aus dem Regen geflüchtet sitz ich im Café
Die Stadt liegt beschaulich an den Wogen der Spree
Während ich da so sitze stehen am Bahnhof Zoo
Ein paar Dutzend Gestalten – sie frieren so…
Ihre Lumpen durchnässt, ihre Seele beschmutzt
Ein Bus voll Touristen schaut bloß verdutzt.
Bei Oranienburg stehen im jüdischen Haus
Polizisten im Eingang und glotzen heraus
Sie arbeiten tapfer bei Wind und bei Nacht
Das heilige Haus ist zum Glück gut bewacht
Ich sehe durchs Fenster die Schirme der Huren
Die fleißig wie Bienchen neue Freier sich suchen
Sie schauen so traurig, ihr Lächeln wirkt tot
Ihr Adern sind leer, nur das Make-up ist rot
Ich zahle mein‘ Wodka und erblicke im Gehen‘
Einen Engel im Spiegel und kann ihn verstehn‘
Es ist Sonntag und Winter, wohin kann er fliehn‘?
Nur ein weiterer Abend im großen Berlin.
Philipp Miltner, Berlin im März 2003