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Aus dem Leben eines Balls

Unter tausend Geschwistern, in allen Farben
Kam er auf die Welt als ein fröhlicher Ball;
Verschnürt und verpackt wie synthetische Garben
In der Heimatlichen Enge und von Luft noch nicht prall.

Schließlich nach langer, beschwerlicher Fahrt
Aus dem wärmenden Dunkel gerissen,
Von den Geschwistern getrennt und gestaffelt nach Art
Wurde erstmals das Ventil angebissen.

Wie stolz er sich fühlte in all seiner Pracht
Von der Luft prall geschwellt, bei Tag und bei Nacht
Er kam in einen Karton und auf ein großes Regal
Die Geschwister verschwanden, doch ihm war’s egal.

Er diente bald drauf einem glücklichen Kind,
Es liebte ihn sehr und er gab dies zurück
„Ein schöneren Ball ich sicher nirgends mehr find!“
Die Treue erbaute sich Stück für Stück.

Wie viele Hände ihn drückten, wie viele Arme ihn warfen,
Wie viele Kinder fragten, ob sie einmal dürfen;
Wie oft er rollte und trollte und sauste und flog
Und die Bewunderung aller auf seine Farben zog.

Ein Sommer verstrich, die Sonne schien grell,
Die Kinder entschwanden zu anderen Streichen,
Der Ball wurde müde, seine Farben zu hell
Und sein Füllgas begann zu entweichen.

Doch sein eines Kind blieb ihm soweit treu
Der Ball wurde stiller und leiser und scheu.
Er wusste, dass das Glück nicht ewig bestand
Nur dies eine Kind noch nahm ihn in die Hand.

Doch auch dieses fand bald darauf andere Sachen
Der Ball wurde nichtig und am Spielplatz vergessen
„Was soll ich denn jetzt bloß alleine hier machen?“
Und bald fing der Regen an zu prasseln.

Verlassen lag er, es dunkelte schon,
Der Wind rollte ihn penetrant monoton
An eine Fassade, die grau und genant
Zwischen andern grauen Fassaden stand.

Der Ball wurde weicher, die Farben verblassten,
Seine Hülle verformt durch der Welt schwere Lasten,
Er weinte so bitter und war so allein;
Er wünschte verschnürt bei seinen Geschwistern zu sein.

Doch niemand kam und hob in auf,
Der Winter nahm bitter seinen Lauf.
Der Ball fror erbärmlich, doch niemand war da,
Der das Leid des bunten Spielzeugs sah.

Ein Jahr verstrich, dann noch eins und mehr,
Die Last der Entfremdung drückte ihn schwer
Seine Muster waren nunmehr schon bleich wie Gespenster,
Er lag ewig und ewig unter dem grauen Fenster.

Doch eines Tages kam ein Mann
Der städtischen Reinigung bei ihm an.
Er hob ihn auf und er staunte nicht schlecht,
Denn diesen Ball, tja den kannte er recht.

Das Kind war gewachsen, seine Kindheit vorbei,
Der Mann war verheiratet und wieder entzwei,
Er war im Leben gescheitert doch was sah er nun
Sein Kindheit ließ er in diesem Ball nur ruhn‘.

Er dachte zurück an die glückliche Zeit
Mit dem Ball, mit den Kindern mit der Freud‘ weit und breit;
Er drückte ihn an sich und in dem Augenblick
Fiel der Mann mit dem Ball einen Meter zurück.

Einen Schritt auf die Straße, er bemerkte es kaum,
Ein schneller Mercedes traf erst ihn, dann den Zaun.
Der Mann wurde weiß mit Leinen bedeckt
Der Ball jedoch sinnlos in den Abfall gesteckt.

Philipp Miltner, Karlsruhe im März 2003

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