logo
logo

6. Erklärung des Unerklärlichen

Gliederung

1. Zusammenfassung

2. Einleitung

3. Der Begriff Epigenetik

4. Unerklärliche Beobachtungen?

5. Epigenetische Mechanismen

6. Erklärung des Unerklärlichen

7. Laborversuche zur Beeinflussung epigenetischer Mechanismen

8. Diskussion

9. Literaturangaben

6. Erklärung des Unerklärlichen

Mit Hilfe der oben genannten Mechanismen lassen sich nun die zuvor beschriebenen „unerklärlichen Phänomene“ erklären.

6.1 Krebs ohne Mutationen

Zunächst zu der Frage, wie sich ohne eine genetische Mutation Krebs ausbilden kann.
Wie bereits vermutet, geht es um eine Fehlfunktion bei einem Regulationsmechanismus auf Basis der Epigenetik. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Epimutation.
Das Anlagern von Methylgruppen an die DNA, oder das Entfernen von Methylgruppen von der DNA, kann dabei ebenso Ursache sein wie eine Modifikation der Histone.
Da diese Modifikationen auch mitotisch an die Tochtergeneration weiter gegeben werden können, kann aus einer einzelnen Zelle ein ganzer Tumor entstehen und der Krebs auch in fremde Gewebe metastasieren.So wurde zum Beispiel bei einigen Krebserkrankungen eine Methylierung bestimmter Gene festgestellt, welche an der Entstehung von Krebs beteiligt sein können.
Sind diese Gene methyliert, so sind sie damit inaktiviert. Da es sich dabei meist um Gene handelt, die eine wichtige Funktion in der Zelle haben und zum Beispiel die Zellteilung oder die Apoptose regulieren, können die Folgen für die Zelle katastrophal sein und in einigen Fällen kann die Zelle einen Krebstumor bilden.
Diese Epimutationen können dazu führen, dass nach und nach genetische Mutationen entstehen. Sollte zum Beispiel ein Transposon demethyliert werden, so kann es im Genom herum springen und erheblichen Schaden anrichten. Gleiches gilt, wenn durch schädliche Umwelteinflüsse wie Strahlung die RNA-Interferenz gestört wird und damit die post-transkriptionelle Regulation nicht mehr funktioniert.

6.2 Die Lösung des Paradoxons

Die statistische Anomalie beim japanischen Paradoxon führt uns zu einem der wichtigsten Unterschiede, welche Epimutationen von genetischen Mutationen unterscheiden.
Epigenetische Veränderungen wie Epimutationen sind grundsätzlich reversibel.
Im Falle der methylierten DNA bedeutet das, dass die Methylgruppen auch wieder von der DNA entfernt werden können. Das selbe gilt für die Modifikationen der Histon-Schwänze. Auch sie können wieder entfernt und so der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden.
Auch die Enzymkomplexe, welche bei der RNA-Interferenz genutzt werden und ebenso die microRNAs, welche in die Enzymkomplexe eingebaut werden, können wieder abgebaut und wiederverwertet werden.

Bleibt nur noch die Frage, was in Japan den beschriebenen Effekt auslöst?
Bei der Analyse von Statistiken, die Japan mit anderen Industrieländern vergleichen, findet man die Antwort wie vermutet im Lebenswandel, um genauer zu sein in der kalorienarmen Ernährung und im grünen Tee.
Die japanische Küche und speziell die Küche von Okinawa ist vergleichsweise kalorienarm7 und es wird pro Einwohner täglich über ein Liter grüner Tee konsumiert ( Bauer et al. 2006). Man vermutet nun, dass der grüne Tee dazu in der Lage ist, Gene zu reaktivieren, welche im Alter durch Methylgruppenanlagerung an die DNA inaktiviert wurden. Auf diese Weise könnte der grüne Tee sowohl die Krebs-Statistik als auch den ansonsten guten Gesundheitszustand der älteren Japaner beeinflussen.
Zusätzlich wirkt sich die an Kalorien ärmere Ernährung positiv aus. Dass eine kalorienarme Ernährung oder auch Hunger einen direkten Einfluss auf die Lebenserwartung hat, ist statistisch an verschiedenen Beispielen bewiesen (siehe unten: „Affen mit biblischem Alter – das japanische Paradox im Laborversuch“). Der Grund hierfür wird in der Evolution und in epigenetischer Prägung vermutet.
Im Laufe der Evolution war eine gute Anpassung an einen Nahrungsmangel von evolutionärem Vorteil, weshalb der Selektionsdruck zu einem möglich effizienten Stoffwechsel bei wenigen Kalorien führte. Ein gewisses Mindestmaß an Nahrung ist allerdings trotzdem für die gesunde Entwicklung eines Organismus notwendig, weshalb die Anpassung nur im Rahmen einer bestimmten ökologischen Nische zu einem besonders effizienten Stoffwechsel führte.
Wie bereits erklärt, findet im Mutterleib am ungeborenen Kind eine epigenetische Prägung, ein sogenanntes Imprinting statt. Mit diesem Imprinting stellt sich das Kind auf die möglichen Umwelteinflüsse ein, welche es voraussichtlich nach der Geburt erwartet. Die einzige Möglichkeit des Fötus zu erfahren, an welche Umweltbedingungen es sich dabei anpassen muss, führt über die Mutter.

Ist die Mutter schlecht ernährt, bekommt auch das Kind wenig Nahrung, hat sie genügend Nahrung zur Verfügung, so wird auch das Kind gut versorgt.
Das Problem ist, dass die Mutter das Kind nur so gut ernähren darf, dass das Kind noch durch den Geburtskanal passen kann. Aus diesem Grund erhält der Nachwuchs auch bei einer Überernährung der Mutter nur begrenzte Mengen Nahrung. Es wird dem Kind also eine schlechtere Ernährungssituation vorgegaukelt als sie tatsächlich ist.
Aus diesem Grund ist der Nachwuchs prinzipiell eher an Hunger als an eine Überflusssituation angepasst und speichert in einer Situation, in der Nahrung im Überfluss vorhanden ist, so viele Reserven wie möglich ein, um im Fall von Nahrungsknappheit vorzusorgen.
Das führt in Industrieländern in der Regel zu Übergewicht, erhöhtem Infarktrisiko, vielen Alterserkrankungen und damit zu einer kürzeren Lebenszeit.
Die kalorienarme Ernährung in Japan dagegen ist der eigentliche und evolutionär optimale Ernährungszustand und die Folgen der Überernährung bleiben daher aus.

6.3 Anpassung an den Hunger

Der holländische Hungerwinter warf vor allem das Problem auf, dass die eigenen Erfahrungen, welche man bereits im Mutterleib machte, spezifische Veränderungen auslösten und dass diese dann auch noch weiter an die Nachkommen vererbt werden konnten. Natürlich kam es dabei nicht zu einer Veränderung der Gene durch den Hunger, wohl aber zu einer Veränderung des Epigenoms, also des Methylierungsmusters und womöglich der Histon-Modifikation. Dass diese epigenetischen Veränderungen vererbt werden können und wie sie das tun, wurde bereits oben erläutert. Warum kam es aber zu einer gerichteten Anpassung und nicht zu zufälligen Veränderungen?
Eine Antwort findet sich in den Mechanismen der RNA-Interferenz. Die RNA-Interferenz ist zunächst einmal ein Mechanismus, mit dem der biochemische Apparat der Zelle gezielt reguliert werden kann. Die post-transkriptionelle Genregulation kann daher gezielt auf Umweltveränderungen reagieren und kann die Zelle zum Beispiel auf einen Mangel an Nahrung einstellen. Außerdem könnte mit den bereits erwähnten Schnittstellen der RNA-Interferenz zu Mechanismen des transkriptionellen Gen-Silencing das Epigenom und damit der Stoffwechsel auch dauerhaft umgestellt werden. Das wäre ein möglicher Weg, auf dem gerichtete Anpassungen möglich wären.
Um den Stoffwechsel dauerhaft umzustellen, benötigen wir natürlich einen Einfluss zu einem empfindlichen Zeitpunkt. In diesem Fall die Zeit während der Schwangerschaft im Mutterleib.
Dadurch kommt es zu der uns schon bekannten Prägung des Epigenoms, welche den Stoffwechsel dauerhaft umstellen kann.
Kommt es während dieser empfindlichen Phase der Schwangerschaft zu einer extremen Unterernährung, so stellt sich das Epigenom und damit der Stoffwechsel für das zukünftige Leben darauf ein, ebenfalls unter extremem Nahrungsmangel zu leiden.
Diese Anpassung muss jedoch zu einem gewissen Preis erkauft werden, denn wenn die tatsächlichen Umweltbedingungen zu stark von den im Epigenom eingestellten Bedingungen abweichen, so wächst, ebenso wie im Zusammenhang mit Überernährung beschrieben, die Wahrscheinlichkeit an entsprechenden Folgeerkrankungen zu leiden, die wiederum zu einem früheren Tod führen können.
Um Energie zu sparen, versucht der Organismus natürlich auch, nicht zu viel in den Nachwuchs zu investieren, um im Fall einer plötzlichen Hungersnot genug Reserven zu haben, um den Nachwuchs weiter ernähren zu können. Dadurch jedoch stellt auch der Nachwuchs sich wieder auf Nahrungsknappheit ein und es kommt neben der Vererbung auf Basis des Epigenoms zu einem weiteren Vererbungsmechanismus.

6.4 Großväter, Großmütter und ihr Einfluss

Im Fall der Großeltern aus Överkalix liegt im Grunde wieder der gleiche Prozess zu Grunde wie bei den Überlebenden des holländischen Hungerwinters. Auch hier führte der Hunger beziehungsweise die besonders gute Ernährungslage der Großeltern in einem bestimmten Lebensabschnitt zu einer Prägung des Epigenoms, allerdings in diesem Fall bei den Keimzellen.
Warum war aber gerade diese „slow growth period“ ausschlaggebend?
Bei der Beschäftigung mit dieser Frage fiel Forschern auf, dass im Hoden eines Kindes bereits im Laufe des achten Lebensjahres die ersten primären Spermatozyten entstehen. Im Laufe der nächsten Jahre, also genau zu der Zeit der „slow growth period“, vermehren sich diese auf dem Weg zur Pubertät.
Die spezifische Ernährungssituation der Großväter führte also dazu, dass die Geschlechtszellen während der Frühphase der Spermienbildung eine Art Prägung bekamen, welche sie an die Nachkommen weiter geben konnten und diese wiederum weiter an die Enkel geben konnten.
Dass die Ernährungsbedingungen der Großmütter ebenfalls weitergegeben werden konnten, aber nur auf die Enkelinnen väterlicherseits, führt zu der Hypothese, diese Prägung könnte spezifisch über die Geschlechtschromosomen vererbt werden.
Warum hat Nahrungsmangel in diesem Lebensabschnitt einen positiven und der Nahrungsüberschuss einen negativen Einfluss, während es im Fall von Hunger in der Schwangerschaft umgekehrt ist?
Diese Frage bleibt bislang ungeklärt.

6.5 Der Erbgang von „Callipyge“

In diesem Fall ging es um ein Merkmal, welches sich nur entwickelte, wenn es vom Vater und nur von diesem vererbt wurde. War das Muttertier Träger des entsprechenden Gens und steuerte dieses dem Genom der Nachkommen bei, so wurde das Merkmal bei den Nachkommen nicht ausgeprägt, auch nicht, wenn sie das Gen ebenso vom Vater geerbt hatten und damit reinerbig waren.
Was erklärt also diesen Mechanismus, der so gar nicht dem Muster eines klassischen uns bekannten genetischen Erbgang folgen will?
Die Antwort fand sich in den Mechanismen der RNA-Interferenz und der Methylierung. Als die Forscher den Callipyge-Gen-Locus genauer untersuchten, fanden sie in unmittelbarer Nähe verschiedene Gene, welche für microRNAs kodierten.
Bei genauerer Betrachtung fiel auf, dass eben diese Gene für microRNAs bei den weiblichen Tieren aktiv waren, jedoch bei den männlichen Tieren methyliert vorlagen.
Steuerte also ein weibliches Tier das Gen bei, so wurde die produzierte mRNA mit Hilfe der microRNA stillgelegt, egal ob die mRNA vom weiblichen oder vom männlichen Allel stammte.
Warum aber verhindern weibliche Tiere die Ausprägung dieses Merkmals bei ihren Nachkommen, während männliche Tiere das Merkmal vererben?
Die Antwort findet sich, wenn man die Vor- und Nachteile des Merkmals bei männlichen und weiblichen Tieren vergleicht.
Evolutionär versuchen sowohl männliche als auch weibliche Tiere möglichst viele Nachkommen zu zeugen, welche wiederum möglichst viele Nachkommen zeugen sollen.
Männliche Tiere kämpfen allerdings in der Paarungszeit gegeneinander und das stärkste Männchen hat einen selektiven Vorteil, da es die meisten Weibchen begatten darf. Daher ist das überdurchschnittliche Muskelwachstum, welches durch das Callipyge-Gen auftritt, für männliche Tiere von Vorteil.
Weibliche Tiere lassen sich von den Männchen begatten und kämpfen nicht gegeneinander. Sie investieren ihre Energie in die Schwangerschaft und die Aufzucht der Jungen. Für sie ist damit das beinahe krankhafte Muskelwachstum und die damit verbundene Energieverschwendung, welche durch das Callipyge-Gen entsteht, eine Verschwendung von Ressourcen, welche einen Nachteil darstellt.

6.6 Copycat, der ungleiche Klon

Im Fall von Copycat, der ersten geklonten Katze, die so gar nicht aussah wie ihr genetischer Zwilling, haben wir es mit dem Prozess der X-Inaktivierung zu tun.
Das Gen für die Fellfarbe wird hier X-chromosomal vererbt. Sitzen nun auf den beiden X-Chromosomen einer weiblichen Katze unterschiedliche Gene für die Fellfarbe, so besitzen Regionen des Fells, deren Haarfollikel von Zellen mit dem jeweils einen stillgelegten X-Chromosom stammen, die Fellfarbe des jeweils anderen X-Chromosoms.
Copycat ist somit der lebende Beweis für die Inaktivierung des X-Chromosoms und für das Zellmosaik bei weiblichen Säugetieren.
Natürlich war das Ergebnis für die Firma, welche den Klon der Katze in Auftrag gab, das schlechtest mögliche Ergebnis, da Haustierbesitzer ihre Katze wohl am ehesten nach dem Aussehen bewerten.

  vorherige SeiteGliederung 1 2 3 4 5 6 7 8 9nächste Seite

[printfriendly]

 

Schreibe einen Kommentar

Datenschutzhinweise: Ihre Kommentareingaben und Ihre IP-Adresse werden zwecks Anti-Spam-Prüfung an den Dienst Akismet gesendet. Bitte lesen Sie für Informationen zu Akismet die Datenschutzbestimmungen für Akismet im Original. Weitere Informationen und Hinweise zum Widerrufsrecht finden sich in der Datenschutzerklärung. Sie können gerne Pseudonyme und anonyme Angaben hinterlassen. Mit der Nutzung der Kommentarfunktion stimmen Sie möglichen Abonnements Ihres Kommentares durch andere Nutzer zu.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden. Weitere Informationen dazu unter Datenschutz

Schließen